Mehr Sprachen, mehr Theater: Georgia Doll

Georgia Doll | Foto: privat

vorgestellt von Henning Bochert

Georgia Doll schreibt auf Französisch und Deutsch. Sie übersetzt ihre eigenen Texte in die jeweils andere Sprache. Darüber hinaus enthalten ihre Stücke weitere Sprachen. Wir betrachten hier besonders die Titel Das blaue Gold/L’or bleu (2010/11) und Stranger (2014).

Ihr drittes deutschsprachiges Stück Das blaue Gold übersetzt Georgia Doll selbst als L’or bleu ins Französische. Darin bleiben Josef und Samanta, Rucksacktouristen in einem nicht näher bezeichneten Land, möglicherweise im Nahen oder Mittleren Osten, mit Motorschaden liegen. Sie treffen auf den jungen Osama, einen Teenager, der allein auf der Obstplantage seines Vaters lebt. Die beiden Reisenden aus Europa nehmen die Gastfreundschaft des Einheimischen an, während sie selbst ihre Beziehung offenbar noch finden müssen. Samanta (Sam) bemerkt, dass sie schwanger ist. In einer Traumszene liegen Josef und Osama nackt auf einem Fell, Sam unterstellt, sie hätten Sex gehabt. Fern von zu Hause in einem neuen, unbekannten Zusammenhang finden sie heraus, dass sie unterschiedliche Interessen haben. Dann verkündet Osama, er müsse fort, spricht von einer Explosion und von Tod. Plötzlich wird deutlich, dass zwischen Osama und den beiden Reisenden Abgründe liegen und Josef und Samanta nicht im Entferntesten verstehen, in welchen Zusammenhängen sie sich befinden. Gleich die erste Szene reißt Referenzen zu Kolonialismus, zu Exotismus, zu Eurozentrismus, aber auch zu Genderfragen, Chauvinismus, zu stereotypischen Zuschreibungen und Ansichten auf, die die thematischen Markierungen für die Handlung setzen. Das Stück hat eine Hauptsprache, Deutsch bzw. Französisch, in die aufgrund der Handlung der Figuren in einem anderssprachigen Land wiederholt Passagen auf Englisch und Arabisch eingeflochten sind. Außerdem wird Sprache an sich im Stück und zwischen den Figuren thematisiert.

josef
was hast du eigentlich gemacht als ich auf’m klo war ich war da ja schließlich ziemlich lange

samanta
mich mit dem tankjungen unterhalten

josef
mit dem was hattest du mit dem zu reden

samanta
er hat mir witze erzählt und sein leben er wollte in die stadt gehen und eine töpferei aufmachen

josef
in welcher sprache

samanta
hauptsächlich in körpersprache wozu das verhör ich bin ja nicht dein privatbesitz

josef
es geht mir um deine verantwortungslosigkeit siehe der ölwechsel

samanta
du musst darüber hinwegkommen joe probier lieber die feige hier die ist der nackte wahnsinn

sie hält ihm eine feige hin

stimme
هلا وسهلا 1

sie zucken zusammen

samanta / josef
verdammt

er zieht sein hemd aus und wirft es ihr zu

josef
bedeck dich schnell
samanta nestelt panisch am hemd
ich habs dir gesagt jetzt sind wir dran

samanta
bestimmt al qaida

auftritt osama

osama
كم هذا جميل ان تزوروني 2

josef / samanta
oh mein gott

sie legen die hände vor die augen weil das licht so hell ist und sie blendet

osama
اخيرا ضيوف- منذ زمن طويل لم ياتي احد 3

josef / samanta
we don’t understand … sorry … no arabian …

[…]

josef
this is samanta und i am

samanta
i am sam and this is my good friend

josef
joe loewe nice to meet you

osama
my name is osama like obama only with an s

sie schütteln sich die hände

josef
dein guter freund so nennst du mich

samanta
bist du doch oder mein freund mein guter

josef
so hast du ihm das nicht gesagt

osama
ach so ihr seid deutsche mein englisch ist nämlich furchtbar

josef
du sprichst unsere sprache

osama
zufällig ja meine mutter ist deutsche sie ist in den siebzigern hergekommen inzwischen ist sie zurück in deutschland irgendwann fahre ich auch hin und studiere die quantenphysik

josef
ja dann es macht auch alles viel einfacher

sie schweigen eine weile betreten

____________

1 willkommen

2 wie schön dass ihr mich besuchen kommt

3 endlich gäste hier ist schon so lange kein mensch vorbeigekommen

Die arabischen Passagen wurden von Mohammad Al-Masalme übersetzt und von Djamal Saadi überarbeitet. Deutsche Übersetzungen der arabischsprachigen Texte fügt Doll durchweg als Fußnoten zum besseren Verständnis für die Produktionsteams bzw. für das Lesepublikum bei.

Die Verwendung unterschiedlicher Sprachen erfolgt nach der dramaturgischen Notwendigkeit der Figuren und die Orte, an denen sie sich befinden. Englisch wird von den Figuren lebensecht als Lingua franca etwas ungenau oder falsch verwendet. Die Orte der Handlung werden in Das blaue Gold von Josef und Samanta (Zweitname: Maria) unterschiedlich wahrgenommen: Paradiesisch von Josef (der zweite Teil des Stücks heißt Out of Eden) und unwirtlich von Samanta, die umso mehr weg will, als sie schwanger ist. Dass beide nicht die geringste Ahnung haben, wo sie hineingeraten sind, wird spätestens in der kulminierenden Schlussszene deutlich, in der sich auch die Sprachmischung noch einmal verdichtet.

osama leise
psst

samanta
selber psst wo bist du gewesen

osama stellt sich neben samanta

osama halblaut
sag nichts sam kämpf gegen alle deine instinkte und schweig

samanta sieht hinter ihn und dann wieder nach vorne sie hebt langsam ihre hände in die luft
auftritt soldat, bewaffnet, er filzt sie auf waffen

soldat
جواز السفر 8

osama gibt ihm seinen pass
soldat macht eine kopfbewegung richtung samanta

osama
بنت عمي من اسراءيل لا تتكلم العربية 9

soldat zu samanta
your name

samanta
samanta maria wolf wolf like the animal

fletscht die zähne

soldat
are you humanitarian which organisation

samanta
nbc world press

zeigt von weitem eine plastifizierte karte

soldat
what are you doing here at this time

samanta
sind sie deutsch

pause

soldat
do you have another identification

samanta
ziemlich weit weg von zuhause was

osama zu samanta
اعطي الجندي جوازك اختي وتوقفي عن الكلام 10

soldat
i need to see your passport now

samanta
habt ihr ein verbot deutsch zu reden in diesem land oder habt ihr auf dieser mission eure muttersprache verlernt

osama zu soldat
 مندها فم مثل شلال الماء11

soldat
اخرسي 12

for the last time i need to ask you for your passport

samanta
sie kommen mir irgendwie –

osama laut
هذه الفتاه حقا………..لا اعرف الى متى سآ صبرر عليها 13

soldat
اخرسي 14

samanta
meinen pass hat mein freund joe er hat die papiere von uns beiden er ist starreporter joe valentine noch nie gehört ein amerikaner der liebling der nation

soldat
i have to take you with me put your hands on your back

____________

8 pass

9 meine kusine sie ist zu besuch aus israel sie spricht kein arabisch

10 gib dem soldaten deinen pass schwester und hör auf zu reden

11 sie hat einen mund wie ein wasserfall

12 halts maul

13 dieses mädchen ist wirklich debil ich weiß nicht wie lange ich sie noch ertrage

14 halts maul

Die zentralen Themen in Dolls Stücken – Fremdheit sowohl an Orten als auch in unvertrauten und unsicheren Situationen, auch mit sich selbst – sind hier schon angelegt. Das Publikum wird mit den Sprachen auf dieselbe Weise konfrontiert wie die Figuren, einerseits bleibt vieles unverständlich, andererseits ist die Sprache Gegenstand der Auseinandersetzung, eher Element der Trennung als Mittel der Verständigung. Sowenig sich die Figuren in ihren Stücken verstehen, so dient Doll mit ihrer gesamten Anlage dennoch dem Gedanken der Völkerverständigung, da nicht etwa die einen (Europäer) im Land der anderen fremd sind und die anderen (hier: Bewohner Afrikas) Fremdheit nicht kennen würden. Alle Kontexte werden gleichermaßen kritisch befragt. Explizit heißt es in einer Anmerkung des Verlags zum späteren Stück Stranger:

Das Stück thematisiert nicht nur die Fremdheit des Europäers auf dem schwarzen Kontinent, sondern auch die seiner Bewohner.

Auch wenn es zwischen diesen beiden Stücken inhaltliche und strukturelle Parallelen gibt – Europäer*innen bleiben in einem afrikanischen Land hängen, Dreieckssituation mit zwei Männern und einer Frau, Afrikaner*innen wirken hilfsbereit, jedoch missverstehen die Europäer*innen die Situationen –: Sprachlich ist Stranger, das zuerst auf Französisch geschrieben wurde, anders gelagert. Eine Anmerkung macht sogleich klar:

Es liegt eine französische Fassung des Textes vor. Das Stück spielt in Togo. Insofern ist mit der deutschen Fassung wie mit einer Übersetzung aus dem Französischen umzugehen.

Was das bedeutet, wird spätestens hier ersichtlich:

MAURICE
Warum duzt du mich nicht, Victoire?

VICTOIRE
Das liegt an der Sprache.

Victoire bezieht sich darauf, dass sie im ihr weniger geläufigen Französischen die formale Anrede verwendet. Da Victoire Maurice eingangs duzt, darauf angesprochen aber bemerkt, sie hätte ihn im Dunkeln nicht als Weißen erkannt, bleibt zu vermuten, dass auch seine europäische Identität eine andere Art von Distanz hervorruft.

In Stranger ist Maurice Franzose, das Stück wurde auf Französisch geschrieben, jedoch sagt er über sich selbst:

MAURICE
Eigentlich bin ich Elsässer.

MAX
Da steht es: Franzose.

MAURICE
Ich bin trotzdem Elsässer.
Ich komme aus Kaysersberg.
Ein verlorenes Kaff.
Aber die Geburtsstadt von Albert Schweitzer.

MAX
Was ist deine Muttersprache?

MAURICE
Elsässerdytsch.
Das ist ein alemannischer Dialekt.
Jetzt sprechen ihn fast nur noch die Alten.
Die Amtsprache im Dorf ist Deutsch.
Ansonsten Französisch.

Der Ort der Handlung von Stranger ist Togo. Das Land hat eine deutsch-französische Kolonialgeschichte, so dass die Fremdheiten und Fremdeinflüsse recht gleichmäßig verteilt, um nicht zu sagen, verwischt sind. Verschiedene Sprachen werden also nicht verwendet, um die Fremdheit einer Figur gegen die andern zu zeigen, sondern das Thema Fremdheit wohnt allen Figuren inne, und die unterschiedlichen Sprachen sind nur eines von mehreren Zeichen dafür.

MAX
Wir haben nicht die gleichen Referenzen.

Fünf Fragen an Georgia Doll

1. Wieso verwenden Sie in Ihren Stücken mehrere Sprachen?

Meine Schreibpraxis besteht zunächst daraus, dass ich auf Deutsch und Französisch schreibe. Ich bin deutsche Muttersprachlerin und lebe und arbeite seit langem in Frankreich. Mein erstes Theaterstück Le pays sombre schrieb ich auf Französisch, damals studierte ich Theaterregie und Dramaturgie in Paris, auch mein zweites Stück inszenierte ich dort. Danach ging ich nach Berlin, um Szenisches Schreiben zu studieren, und so begann meine zweisprachige Theaterarbeit. Die Sprache entscheidet sich je nach Kontext, der geplanten Inszenierung, manchmal auch durch das Thema. In den meisten Fällen übersetze ich das Stück in der Folge in die jeweils andere Sprache. Das heißt, die wesentlichen Übersetzungsprozesse finden zwischen den beiden Textversionen statt. So kommt das Thema der Übersetzung und der Vermittlung, des Verstehens und Nichtverstehens auch oft zwischen den Figuren zur Sprache. Oder vielleicht schreibe ich zweisprachig, weil mich dieses Thema so umtreibt – wahrscheinlich bedingen sich diese Fragen. In mehreren meiner Stücke gibt es Momente, in denen eine dritte oder vierte Sprache auftaucht, auch wenn das nichts Systematisches ist, sondern sich aus den Situationen ergibt. So spielen Das blaue Gold und Stranger jeweils im Mittleren Osten beziehungsweise in Westafrika. Die unterschiedlichen Sprachen waren eine Möglichkeit, die Verständigungsprobleme zunächst auf einer direkten Ebene zu zeigen. In Wirklichkeit gehen sie natürlich tiefer und betreffen die Figuren selbst, in ihrer Egozentrik, ihrer Unmöglichkeit zur Empathie oder auch ihrer Hilflosigkeit.

2. Haben Sie einen persönlichen Bezug zu Mehrsprachigkeit?

Die Mehrsprachigkeit ist nicht in meiner Biografie verankert. Ich bin in Österreich aufgewachsen, in einer Lebenssituation, wo viele Menschen aus anderen Teilen Europas lebten, deshalb waren diese Sprachen latent präsent, aber im Wesentlichen wurde Deutsch gesprochen, mit österreichischem Dialekt. Später zog ich mit meiner Familie nach Deutschland. Meine Eltern waren beide – auf unterschiedliche Weise – sehr interessiert an dem Spiel mit Sprachen und haben mir viel von dieser Liebe vermittelt. Ich war schon immer in der Sprache mehr zu Hause als an Orten und mochte es, mich in anderen Sprachräumen zu bewegen. Nach Frankreich bin ich als junge Erwachsene gegangen, und Französisch wurde dann schnell zu meiner „Wahlsprache“, auch im Schreiben. Dadurch wurde es persönlich. Momentan schreibe ich Prosa – wieder eine neue Sprache, die ich lernen muss, komplett anders als das Dramatische. Ich glaube, Schreiben heißt ohnehin, Sprache permanent neu zu entdecken, zu erfinden. Wenn man die Landessprache wechselt oder die literarische Form, wird dieser Prozess nur besonders sichtbar.

3. Welche Funktion haben diese Sprachen in ihren Texten?

Verschiedene. Stranger erzählt die Geschichte von Maurice, einem elsässischen Berufsblogger, der nach Togo reist, um sich dort gewissermaßen in sich selbst zu verlieren bzw. sich seiner eigenen, tiefen Fremdheit auszusetzen. Als er kein Geld mehr hat, wird er vom Geschäftsmann Max und der Schauspielerin Victoire durchgefüttert und hütet dafür ihre Schafe. Das Englische taucht auf, als Max Maurice auf eine Reise nach Ghana mitnimmt und sie die Grenze überqueren, es verweist natürlich auch auf die postkolonialen Kräfteverhältnisse in der Region. Später trifft Maurice auf einen alten Mann, der ihn nicht versteht und sagt den einzigen Satz in Éwé, den er gelernt hat. Dadurch wird deutlich, dass er sich in Victoire verliebt hat, aber es zeigt auch, wie schwierig es für ihn ist, seine eigene Sprache und Denkweise zu verlassen oder auch nur zu erweitern. Ansonsten sprechen die Figuren deutsch, das ist eine Setzung, außer einigen wenigen Begriffen, beispielsweise „Yowo“, mit dem Maurice als Weißer bezeichnet wird. Diesen Ausdruck kennt jede weiße Person, die schon einmal in Togo war. Ich habe viel mit kulturellen Verweisen gespielt, die auf die deutsche und französische Kolonialgewalt hinweisen. Meine Haltung als Autorin war, über meinen eigenen Kulturkreis zu reflektieren bzw. ich hätte überhaupt nicht das Know-how gehabt, die togoische Seite der Geschichte zu beleuchten. Bestenfalls geht es um eine Begegnung. Allerdings ist für mich die französische Fassung des Stücks das „Original“, einfach, weil Französisch die Amtssprache in Togo ist. Für Stranger habe ich mich während meiner Aufenthalte in Togo und danach viel dokumentiert, wollte gezielt mit dem kulturellen und politischen Kontext umgehen, deshalb sind das Setting und die Spielsituationen relativ nah an der Wirklichkeit. Es ist immer eine Frage des Realismus. Mein Stück Sous le sixième soleil zum Beispiel ist komplett einsprachig, obwohl es eine dystopische Situation an der europäischen Außengrenze beschreibt und die Figuren eigentlich verschiedene Sprachen sprechen müssten. Doch ich bin von vornherein in einen symbolischen Raum gegangen, um die Tiefenstrukturen zu beleuchten, die Machtverhältnisse und Unmenschlichkeiten, die in diesen Kontexten entstehen. Der Raum in Das blaue Gold ist ebenfalls symbolisch; die Handlung setzt ein in einer Art Garten Eden in der Wüste. Doch die verschiedenen Sprachen (Arabisch, Englisch) verweisen auf die geopolitischen Spannungen in der Region. In der zweiten Hälfte geschieht ein Einbruch des Realen, als Osamas Vater durch eine Explosion getötet wird. Später werden Osama und Samanta von einem NATO-Soldaten angehalten, als sie versuchen, den Leichnam zu entwenden, um ihn zu beerdigen. So erscheint das Englische zu Beginn als die Sprache der internationalen Verständigung, am Ende verweist es auf Militärpräsenz und Gewaltkontexte. Das Arabische markiert zunächst das „Unverständliche“ der Kultur, die Samanta und Josef mit ihrem touristischen Blick bereisen. Später ist es die Sprache der Trauer, in der sich Osama an seinen toten Vater richtet.

4. Wie gehen Sie mit der Frage der Verständlichkeit bzw. Verständlichmachung um?

In der Printausgabe steht auch die deutsche Übersetzung der Passagen. Auf der Bühne muss entschieden werden, wie man damit umgeht. Es gibt sicher verschiedene Möglichkeiten. Man kann natürlich übertiteln, aber es ist nicht unbedingt notwendig. Im Blauen Gold geht es genau darum, dass die Figuren sich nicht verstehen bzw. missverstehen sollen. In meiner Inszenierung in Toulouse und Marseille habe ich damit gespielt, d. h. nur mehrsprachige Zuschauer*innen konnten den gesamten Text verstehen. Es sind nur kurze Momente und die Intention der Figuren konnten die Schauspieler*innen spielen. Nur bei der Szene, in der Osama Abschied von seinem Vater nimmt, war mir wichtig, dass der Inhalt verstanden wird, und da es sich um einen intimen Moment handelt, wollte ich nicht übertiteln. Die Zuschauer*innen haben vor Beginn der Aufführung kleine Briefe bekommen, in welchen der Text und die Übersetzung standen. Sie konnten selbst entscheiden, ob und wann sie ihren Brief lesen, und während Osamas Monologs wurde visuell darauf hingewiesen, um die Verbindung herzustellen. Ich habe in dieser Aufführung auch mit einem Oud-Spieler zusammengearbeitet, der die Musik komponiert und live gespielt hat. Dadurch gab es noch eine weitere Sprache auf der Bühne.

5. Haben Sie weitere Projekte in Arbeit, in denen mehrere Sprachen verwendet werden?

Ich arbeite an einem Roman in französischer Sprache. Er spielt im Österreich der Achtzigerjahre und erzählt die Geschichte von zwei Kindern, die gemeinsam in einer autoritären Großkommune aufwachsen, in der Kunst zur Religion erklärt wurde. Deshalb tauchen im Text immer wieder deutsche Wörter auf, vor allem dann, wenn es sich um ideologische Begriffe handelt, sozusagen das „Neusprech“ der Sekte. Während des Schreibens ist mir wieder deutlich geworden, wie komplex die sogenannte „Muttersprache“ ist. Sie setzt sich oft bereits aus mehreren Sprachen zusammen, dazu kommen Slangs, Dialekte, Geheimsprachen … es ist meist ein komplexes Geflecht. Doch wenn ich nach meiner gefragt werde, antworte ich: „Deutsch“. Das sagt viel darüber aus, wie wir Sprachen benutzen, um Identitäten und Zugehörigkeiten zu schaffen. Wir behaupten, uns gegenseitig einordnen zu können, sobald wir wissen, „woher wir kommen“. Doch es braucht viel Zeit, um einen anderen Menschen auch nur ansatzweise zu verstehen, egal in welcher Sprache.

Über Georgia Doll

Georgia Doll, 1980 in Wien geboren, wächst in Hamburg auf, wo sie 1999 ihr Abitur macht und sodann Deutsche Sprache und Literatur mit Schwerpunkt Theater an der Universität Hamburg studiert. Im Rahmen eines Doppelstudiums macht sie einen Master in Theaterwissenschaften an der Université Toulouse le Mirail in Frankreich und in der Folge absolviert sie ein Aufbaustudium „Theaterregie und Dramaturgie“ an der Université Paris X Nanterre; dort entsteht 2007 ihr erstes abendfüllendes Stück in französischer Sprache. Sie studiert Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin, wo weitere ihrer Stücke zur Aufführung gebracht werden. Seit 2010 lebt Georgia Doll in Südfrankreich, wo sie mit ihrem Kulturverein Les Passagers du Mardi arbeitet. Sie inszeniert ihre Theaterstücke, arbeitet kunstpädagogisch mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen, macht partizipative Kunstprojekte und Schreibworkshops, auch in internationalen Kontexten (Bulgarien, Frankreich, Togo, Tunesien) und engagiert sich als kulturelle Mediatorin für Menschenrechte. Zurzeit arbeitet sie an ihrem ersten Roman und bereitet einen Artistic PhD an der Université Aix-Marseille zum Thema „Schreiben zwischen den Sprachen“ vor. Ihre Stücke werden in Deutschland, Frankreich, Österreich und Togo auf die Bühne gebracht. Georgia Doll schreibt in deutscher und französischer Sprache.

2017      2. Preis Energie Burgenland Literaturpreis für die Kurzgeschichte Der Tag des Toten
2016      Nominierung – Miss Europa va en Afrique für den Preis ‚InédiThéâtre‘, Postures, Paris
Aufenthaltsstipendium (2 Wochen) – Orphéon Bibliothèque Armand Gatti, La-Seyne-Sur-Mer
2014      2. Preis, Coburger Autorenforum für Das blaue Gold – Coburger Landestheater, Coburg
2013      Stipendiatin, einjährige Literaturwerkstatt – Ballhaus Naunynstraße und Gorki Theater, Berlin
Aufenthaltsstipendium (6 Wochen) – Literaturhaus La Marelle, La Villa des Auteurs, Marseille
Stipendium (Bourse de Découverte) des Centre National du Livre, Paris
2011      Nominierung, Münchner Förderpreis für Junge Dramatik für Das blaue Gold
Stipendiatin der Werkstatttage Burgtheater Wien mit Klara Morgenroth
2009/10  Stipendiatin, einjähriges Autorenlabor – Schauspielhaus Düsseldorf, Düsseldorf
2021 Stipendium (Bourse de création) des CNL – Centre National du Livre für das Romanprojekt „PETIT MONDE“

(Quelle: Georgia Doll)


Über die Reihe Mehr Sprachen, mehr Theater

m Zusammenhang mit ihrer Forschung zu Mehrsprachigkeit im Theater untersuchen und präsentieren Henning Bochert, Lydia Nagel und Barbora Schnelle in der Reihe Mehr Sprachen, mehr Theater Autorinnen und Autoren, die sich in ihrer Arbeit mehrerer Sprachen bedienen. Diese Portraits erscheinen in offener Reihe auf diesem Blog. Die gleichnamige Broschüre erscheint zunächst in limitierter Auflage und ist gegen eine Spende auf Anfrage an info@drama-panorama.com erhältlich, so lange der Vorrat reicht.