von Henning Bochert
Nicht erst seit 2015, als eine große Zahl von Flüchtlingen Deutschland erreichte, war es ein Ziel der deutschen Theaterschaffenden und der Kulturpolitik, diese Menschen und diesen Vorgang im deutschen Theater sichtbar zu machen. Die gesellschaftliche Veränderung und die damit verbundenen engagierten und ablehnenden Reaktionen sollten ebenfalls behandelt werden. Aber auch schon zuvor hat eine zunehmend internationalisierte oder, allgemeiner, diversifizierte Theaterlandschaft die Theaterkünstler beschäftigt. Die Einflüsse anderer Kulturen und die Begegnungen mit ihnen wurden als Bereicherung wahrgenommen und auch – namentlich und schon lange von der Kulturstiftung des Bundes – gefördert.
Bei den Themengesprächen der ITI-Jahrestagung im Rahmen des Festivals Theaterformen am 17.06.2018 in Braunschweig waren die Herausforderungen interkultureller Theaterarbeit das Thema des Tages. Nach drei Jahren des persönlichen, politischen und institutionellen Umgangs mit den in Gestalt von häufig aus dem arabischen Raum oder vom afrikanischen Kontinent Geflüchteten (Künstlern) wurden verschiedene Aspekte des Unbehagens offensichtlich, das sich angesichts des Umgangs der Institutionen mit diesem Thema und mit den Arbeitsformen regte.
Für uns Theatersprachmittler*innen bei Drama Panorama ist das Thema von besonderem Interesse, da die Sprachmittlung in interkulturellen Theaterarbeiten unweigerlich Tagesgeschäft und aber auch eine sich in ständiger Entwicklung befindliche Frage ist. Der Themenbereich Sprache-Kultur-Vermittlung ist ein großer Komplex mit unterschiedlichsten Aspekten. In diesem Artikel sollen lediglich einige Fragen aus der Tagung, ergänzt um einige eigene Erfahrungen, zusammengefasst werden.
Die Frage der Vielfalt
Ganz allgemein gesprochen gibt es ein großes Bemühen und Interesse der Kulturpolitik und der Theaterschaffenden, den eigenen Maßgaben von Diversität zu genügen und dies auch ganz unmittelbar auf das Erscheinen vieler Künstler*innen mit anderen kulturellen Wurzeln und Hintergründen und Sprachen anzuwenden. Dr. Thomas Engel, Leiter des ITI Deutschland, wies in seinem Vortrag in Braunschweig darauf hin, dass schon 2002 und 2003 Direktiven aus dem BKM zur Implementierung von Diversität – die auch kulturelle Vielfalt meint – sowie zur kulturellen Bildung ergingen. Nicht zuletzt durch Förderprogramme von Bundesseite aus wurden solche Impulse dann angeregt. Sukzessive fand dies eine Umsetzung auch in den Theatern als öffentlichen kulturellen Knotenpunkten in Städten und Regionen. Das Programm Heimspiel hat die Häuser in die Kommunen hinein öffnen wollen und förderte „Theaterprojekte, die sich mit der urbanen und sozialen Realität der Stadt auseinandersetzen und ein neues Publikum für das (Stadt-)Theater gewinnen sollten“, indem die Zusammenarbeit mit Zivilorganisationen gefördert wurde; Doppelpass, „Fonds für Kooperationen von freien Gruppen und festen Tanz- und Theaterhäusern“, hat durch die Zusammenarbeit mit der freien Szene kreative Impulse, vielleicht auch flexiblere und integrativere Produktionsmethoden in die starren Subventionshäuser tragen wollen; Wanderlust, „Fonds für internationale Theaterpartnerschaften“, förderte Zusammenarbeiten zwischen Gruppen und Häusern in anderen Ländern und etablierte zum Teil spannende Beziehungen. Die Programme sind/waren immer als Anschubfinanzierungen gedacht und müssen sich an ihrer Nachhaltigkeit messen lassen. Inhaltlich sind die verschiedenen Förderschwerpunkte ganz offensichtlich auch geradezu modischen Wellen unterworfen. Wo wir seit 2015 Projekte von/mit/über Flucht/Flüchtlinge/Migration gefördert sehen, waren es bis dahin Projekte von/mit/über Menschen mit Behinderung, noch früher gab es Förderungen mit Blick auf Balkan, Mitteleuropa und Russland. Themen wie Durchmischung der Künstlerszenen, Stärkung der Internationalität und Mehrsprachigkeit, die schon und parallel über eine wachsende Internationalisierung der Festivalszene in den Blick rückten, wurden hierdurch noch verstärkt und in die Spielpläne der Kommunen geholt.
Seit 2015 bildeten sich an einigen Theatern sogar Ensemble mit Exilkünstlern oder Geflüchteten (z. B. das Open Borders Ensemble an den Münchner Kammerspielen, das Exil Ensemble des Maxim-Gorki-Theaters oder das Collective Ma’louba aus Mülheim an der Ruhr). Zahlreiche andere Theater starteten Jugend- oder andere Formen integrativer Theaterarbeit, die nicht immer so dauerhaft und nachhaltig sein konnten wie die Gründung von Ensemblen.
Die Frage der Sprache(n)
Die Arbeitserfahrungen aus vorherigen interkulturellen Projekten und diesen Ensemblen sind in vielen praktischen Fragen der Zusammenarbeit ähnlich, unterscheiden sich aber auch in wesentlichen Punkten.
Zunächst müssen wir die Betrachtung auf Begegnungen in der Theaterarbeit mit unterschiedlichen kulturellen, professionellen und sprachlichen Voraussetzungen beschränken. Die Betonung der Theaterarbeit ist wichtig, denn schon in anderen performativen Genres wie Musiktheater oder natürlich dem Tanz liegen grundsätzlich andere Bedingungen vor. (Im Tanz ist das Hauptmedium der Körper; und während auch hier der Aspekt der Vielfalt noch ausgebaut werden kann und bereits wird, ist die Last der Darstellungs- und Vermittlungswege von der Verständlichkeit der Sprache genommen. Im Gegenteil: Diversität war hier immer gegeben aufgrund der Einigkeit darüber, dass jeder Körper anders ist und dass das eine Bereicherung darstellt.)
Welche Rolle spielt Sprachmittlung in interkulturellen und mehrsprachigen Theaterproduktionen? Wenn es um interkulturelles und mehrsprachiges Theater geht, denkt man zunächst an die Vermittlung der Inhalte und des Geschehens auf der Bühne zum Publikum. Das ist eine Hürde, die schon in internationalen Festivalzusammenhängen an der Tagesordnung war und ist und letztlich – aufgrund der Situation fertiger fremdsprachiger Produktionen – mit technischen Mitteln der Sprachmittlung gelöst wird. Diese Ansätze werden von Sprachmittler*innen ständig weiterentwickelt und können im besten Fall selbst künstlerische Ausdruckmittel werden (z. B. die Rolle der Übertitel bei Marthalers „+/- 0“).
In der Situation ständiger Ensembles mehrsprachiger Künstler*innen entfaltet die Fragestellung neue Qualitäten. Gerade im deutschen Theater mit seiner literarischen Tradition ist Sprache unstreitbar und traditionell das zentrale Ausdrucksmittel. Wenn nun allerdings Deutsch als Kommunikationsweg zwischen Bühne und Publikum ausfällt, müssen die Inhalte, die über dem Publikum überwiegend nicht zur Verfügung stehende Sprachen vermittelt werden, auf andere Weise verständlich gemacht werden. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder verwendet man dieselben sprachmittelnden Techniken wie bei Festivals; gerade die klassischen Übertitel sind aber schwieriger in den kreativen Prozess einzubinden, andere Mittel sind hier geschmeidiger. Die andere Möglichkeit besteht darin, dass andere Theatermittel, z. B. auch Körperlichkeit, Stimme, Bildsprachen, Medien, Musik diese Funktion übernehmen.
Bei Produktionen, deren Mitwirkende nicht immer alle dieselbe Sprache gleich gut sprechen, steht nun die Notwendigkeit der Sprachmittlung im Produktionsprozess selbst im Raum. Mitwirkende in Produktionen, an denen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen und Sprachen beteiligt sind, stehen zunächst und unmittelbar einigen sehr praktischen Schwierigkeiten gegenüber, deren Konsequenzen zuvor häufig nicht oder nicht vollständig bedacht und geplant werden. Selbstverständlich wird in der Produktionsphase viel geredet, um Themen und Konzepte zu verhandeln und kreative Lösungen zu finden. Wenn die Mitwirkenden sich hier nicht verstehen, werden unter dem Druck der Premiere automatisch pragmatische Lösungen gefunden. Wo dies möglich ist, wird Englisch zur Arbeitssprache. (Dieses in der Regel beschränkte, simplifizierende Englisch als Arbeitssprache, das z. B. bei differenzierten und tiefgreifenden Erörterungen rasch an seine Grenzen gerät, stellt in sich selbst eine interessante Problematik dar.) Wer um diese Problematik schon weiß, plant eine/n oder mehrere professionelle Sprachmittler*innen für die Produktion ein oder besetzt mehrsprachige Mitwirkende (am besten auch mehrere). Die meisten Produktionen, die noch keine Erfahrung mit der mehrsprachigen Arbeit haben, sind nicht darauf vorbereitet, dass Proben und Gespräche durch das erforderliche Dolmetschen durchaus die doppelte Zeit beanspruchen können. Jede Rückfrage, die gedolmetscht werden muss, kostet wertvolle Zeit, so dass die Mitwirkenden bald lernen, sich knapp zu fassen. Wenn keine Dolmetscher*innen beschäftigt werden, vermitteln vielleicht die Mitwirkenden selbst, und unweigerlich treten Stille-Post-Effekte auf, die Inhalte unzuverlässig werden lassen oder verfälschen. Noch ein Unterschied ergibt sich daraus, wie viele Sprachen beteiligt sind. Zweisprachige Produktionen sind übersichtlicher als mehrsprachige. Insbesondere dann, wenn nicht alle Beteiligten mindestens eine gemeinsame Sprache haben. Hier muss dann u. U. mehrfach gedolmetscht werden. Diese anderen Kommunikationsarten beeinflussen den Produktionsprozess in der Konsequenz derart, dass auch die Produktionsformen sich verändern, z. T. so weit, dass die Sprachen der Produzierenden in die Produktion sowohl als künstlerisches Mittel als auch als künstlerischer Inhalt aufgenommen können (z. B. bei Yael Ronen).
Die Frage der Kultur(en)
Die sprachlichen Herausforderungen in interkulturellen Produktionen sind aber von den kulturellen nicht zu trennen. Beispielsweise wird mit dem Bereich, wo sich das Künstlerische mit dem Geschäftlichen berührt, unterschiedlich umgegangen. Erfahrungen von Theatermacher*innen zeigen, dass der unterschiedliche Umgang mit Verträgen zu Irritationen oder Befremden führen kann. Die für die Zusammenarbeit notwendige Verbindlichkeit wird in den Kulturen über unterschiedliche Wege erzielt. Für die einen sind Verträge das Non-plus-Ultra, für die anderen bedarf es persönlicherer Versicherungen. Spätestens, wenn die jeweils als verbindlich verstandenen Beziehungen dann von der anderen Seite nicht ernst genommen werden, flammen Wut, Frustration, Vorwürfe und Klagen in den Produktionen auf. Möglicherweise steht dahinter ein jeweils anderes Verhältnis zum Staat und seinen Mitteln. In Deutschland wird die Verbindlichkeit über einen Bezug zum geltenden Rechtssystem über eine vertragliche Regelung gewährleistet. Diese ist deswegen verbindlich, weil darauf vertraut werden kann, dass sich dieses Rechtssystem an seine eigenen Grundsätze von Objektivität, Gleichheit, und Zugänglichkeit hält und für beide Seiten einklagbar ist. Wenn der Staat und sein Rechtssystem diese Verbindlichkeit aber nicht anbietet, weil die Justiz nicht unabhängig ist, kommt ein Vertrag vielleicht als Misstrauensindiz und Beleidigung daher. Wo das Rechtssystem eher ein Mittel der Mächtigen gegen die Ohnmächtigen ist, muss man vielleicht andere Schutzsysteme entwickeln. Da Sprachen immer in Kulturen aufgehoben sind, muss eine Sprachmittlung derartige Reibungen zwischen unterschiedlichen kulturellen Systemen berücksichtigen.
Wie können die Reibungen zwischen unterschiedlichen Auffassungen von Arbeitsformen aber produktiv gemacht werden? Frau Zosik von der Kulturstiftung des Bundes erläuterte in Braunschweig den Ansatz des neuen Bundesförderprogramms „360°“. Dieses setzt auf die Notwendigkeit von Vermittlerfiguren, die in der Theaterstruktur verankert und unbedingt mindestens zweisprachig sind und die sich in den jeweiligen kulturellen Systemen auskennen. Die Beteiligten berichten, dass solche Personen unweigerlich auch zu alltäglichen oder Behördenfragen angesprochen werden: Kannst Du mir diesen Brief vom Amt übersetzen? Wohin muss ich gehen, wenn ich XY brauche? Zumindest müssen sie um diese Problematik wissen und die richtigen Fragen und vermittelnden Gespräche führen können. Da muss einerseits vielleicht erläutert werden, dass ein Vertrag Sicherheit für alle Seiten bietet und unbedingt ernst zu nehmen ist, andererseits müssen vielleicht die entsprechenden jeweiligen Umgangsregeln erläutert werden. Das Programm der Kulturstiftung des Bundes versucht, über die Förderung hochkompetenter Mitarbeiter im nichtkünstlerischen Personal der Theater genau diese Position zu ermöglichen.
Die Fragen der Politik
Schon lange ist immer wieder und aus verschiedenen Anlässen von einer grundsätzlichen Reform des deutschen und deutschsprachigen Theatersystems die Rede. Zwar ist es recht einzigartig auf der Welt und auch fruchtbarer Boden für enorme künstlerische Leistungen. Andererseits spüren die Künstler*innen immer wieder, dass der große Verwaltungsapparat der wendigen und spontanen Natur der Kunst nicht immer entsprechen kann. Kann die aktuelle Entwicklung, die die Häuser besonders herausfordert, ein entscheidender Anlass für diese von vielen Seiten geforderte Reform darstellen? Wenn wir die Einflüsse interkultureller Arbeit in unseren Theatern wünschen, müssen wir umgekehrt auch für Veränderungen bis in die Strukturen der Theaterorganisation im deutschsprachigen Raum bereit sein. Um Interkulturalität – als Aspekt von Vielfalt – programmatisch in den Theatern zu installieren, müssen die Theaterstrukturen angepasst werden. Dieser Umbau muss auf Widerstand in den Strukturen treffen, es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die sich ständig verändernde Diskurslage im Bewusstsein aller ist. Um dem zu begegnen, bedarf es zunächst einer politischen Entscheidung z. B. im Stadtrat, die Maßnahmen der Theaterleitung Rückendeckung bieten kann. Wenn die einen Vielfalt als Herausforderung und Bereicherung empfinden, ist sie für die anderen Überforderung und Bedrohung. Zum Teil haben wir es auch mit einer Differenz zwischen Großstadt und Städten mittlerer Größe oder Kleinstädte zu tun. Hier gibt es vielfach nicht die kritischen Größen der jeweiligen Gruppen, so dass andere Kulturen kaum oder überhaupt nicht wahrgenommen werden; das „Problem“ gibt es dann nur anderswo, und vor Ort besteht kein Interesse an einer Auseinandersetzung oder es wird kein Handlungsbedarf gesehen. Diese Arbeit ist immer und überall eine Überforderung für alle Beteiligten, die nicht vielfach in multikulturellen und mehrsprachlichen Produktionen gearbeitet haben. Die damit verbundenen Herausforderungen werden notorisch unterschätzt.
Noch ein kritisches Wort zu den Förderprogrammen. So sie sich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen beziehen, entwickeln sie eine problematische, vielleicht unvermeidliche Dynamik. Nach Anschubfinanzierungen befassen sich die Gruppen/Ensembles/Projekte mit den Fragestellungen, die in den Sprachregelungen der Förderpolitik benannt sind. Sie setzen sich über die Zeit immer genauer mit diesen häufig mit ihren eigenen Identitäten befassten Themen auseinander. Im Laufe und im Rahmen dieser Auseinandersetzungen loten die Künstler*innen und Theater diese Begrifflichkeiten und ihre Grenzen aus und brechen sie auf, so dass – und gerade jetzt im Fall der Förderung von Projekten mit Migrant*innen, mit Geflüchteten, mehr als je – sehr schnell deutlich wird, dass die Programme, die diese Künstlerinnen ja in bester Absicht – gut gemeint – fördern wollten, sich schließlich quasi gegen sie wenden, weil sie sie auf ihre Flucht-, Kriegs-, Trauma-, Fremdheitserfahrungen festschreiben. Die vor ihrer Flucht und Vertreibung oder Exil oft als qualifizierte Künstler*innen tätigen Menschen wollen sich selbstverständlich nicht unablässig von diesen Zuschreibungen eingrenzen lassen, sondern als Künstler*innen mit der ganzen Bandbreite der Themen und Inhalte befassen wollen. (Diese Beobachtung überschneidet sich mit Fragestellungen indigener Künstler z. B. in Kanada, die zwar auch mit staatlicher Förderung vermehrt sichtbar werden, aber auch unter den Erwartungen des Publikums leiden, dass sich indigene Künstler ausschließlich mit Themen ihrer indigenen Identität befassen sollen.) [1] Häufig erhalten die Produktionen auch Gelder aus Sozialfonds, und hier zielen die Förderstrukturen und Programmbeschreibungen besonders auf Tragödie und Leid ab. Schlüsselworte in den Förderprogrammen sind häufig sozial orientiert (berüchtigtes Beispiel: Integration) anstatt auf Kunst ausgerichtet. Das bedeutet eine Reduktion. Im Verlauf der Beschäftigung der ganzen Szene mit diesen Schwerpunkten über mehrere Jahre fächern diese eben durch die Arbeit die Gegenstände, Themen und deren Begrifflichkeiten auf und sprengen sie, so dass vielleicht unweigerlich ein Widerspruch zwischen frühen, dann aber unverändert fortgeschriebenen Sprachregelungen und den beabsichtigten Themenfeldern entsteht. Die Identitäten, deren Eigenschaften beschrieben werden, verändern sich unter der Hand und in diesen Programmen, eben weil diese ihnen die Chance dazu geben. Sie lösen sich gegenseitig auf: Die Flüchtlinge sind bald keine Flüchtlinge mehr, sondern Künstler*innen. Und nicht nur in Berlin. Sommer 2018, Überschrift im Programmheft Staatsschauspiel Dresden: „Vor allem wollen wir keine Flüchtlinge sein“. Es geht um die schwierige Balance zwischen dem Anspruch, bestimmten Stimmen Gehör zu verschaffen, und der Tendenz, die betreffenden Personen auf diese Eigenschaften zu reduzieren. Die politischen Forderungen nach Vielfalt und Integration sind in der Konsequenz unvereinbar, wenn Integration in der Folge Assimilierung heißt, denn dann ist am Ende das gesuchte Element der Vielfalt wegintegriert.
Für die Künstler gibt es einen akuten Bedarf an Wahrnehmung und künstlerischen Arbeitsmöglichkeiten. In den Gesprächen in Braunschweig taucht auch die wichtige Frage auf, wie nachhaltig die Projekte der letzten Jahre sind, wie nachhaltig die mehreren Exil-Ensemble wirken, und tatsächlich erhalten zumindest einige der Mitwirkenden fest angestellt an die Theater. Hier gelingt also durchaus eine Rückwirkung der Programme von den zunächst Profitierenden auf die Theaterlandschaft selbst, denn mit diesen Künstler*innen, Dramaturg*innen und auch nichtkünstlerischen Mitarbeitern im Theater verändert sich die Theaterlandschaft, die Produktionsweise, auch die Hegemonie der Sprache wird nicht aufgelöst, aber durch andere ästhetische und künstlerische Mittel bereichert. Aber diese Prozesse brauchen Zeit.
Die Herausforderungen interkultureller Zusammenarbeit werden unterschätzt und verlangen viel Geduld, Fingerspitzengefühl und professionelles Arbeiten von allen Beteiligten. Glücklicherweise sind die Möglichkeiten dieser Narrative, Formen und Ästhetiken noch längst nicht ausgeschöpft. Wenn wir die Zusammenarbeit nicht einseitig verstehen, wenn wir unsere Grenzen öffnen, das Fremde interessiert willkommen heißen, können die kommenden Jahre uns viele künstlerische Schätze bescheren.
[1] Für Sprachmittler*innen im Theater bilden sich mit zunehmender kultureller und sprachlicher Vielfalt ständig neue spannende Arbeitsbereiche und Fragestellungen, nicht zuletzt Sprachfelder. Besonders spannend wird es, wenn Künstler*innen den Konflikt zwischen Fremdheit und Integration nicht auflösen, sondern thematisieren (siehe Nachtkritik oder diesen Artikel).