Rückblick: Ein Stück: Tschechien: Nachlese 2019

Mit Roman Sikoras Stück Drei Tage oder Abstieg und Aufstieg des Herrn B. in szenischer Lesung wurde unser Festivalprojekt Ein Stück: Tschechien auch in diesem Jahr als Nachlese 2019 fortgesetzt. Der Gewinner des Publikumspreises des Festivals Ein Stück: Tschechien 2018 wurde, wie schon in den vergangenen Jahren, für eine Woche nach Berlin eingeladen. Beim Workshop arbeitete Drama Panorama mit Roman Sikora an der Übersetzung seines neuen Theaterstücks und stellte diese dann in szenischer Lesung vor.

Barbora Schnelle und Roman Sikora auf gelben Sofas vor Blättern mit dem Stücktext und seiner Übersetzung. Im Hintergrund eine Bücherwand und Pflanzen.
Roman Sikora diskutiert mit seiner Übersetzerin Barbora Schnelle die deutsche Fassung seines Theaterstücks, Foto: Drama Panorama

Bei den Proben für die szenische Lesung stand Sikora dem Regisseur Eberhard Köhler und dem Dramaturgie- und Übersetzungsteam Barbora Schnelle und Henning Bochert beratend zur Seite, damit das Stück in gekürzter Fassung in Absprache mit dem Autor präsentiert werden konnte.

Regisseur Eberhard Köhler und Dramatiker Roman Sikora bei den Proben für die szenische Lesung in der Galerie des Tschechischen Zentrum, Foto: Drama Panorama

Am Mittwoch, dem 8. Mai 2019, fand in der Galerie des Tschechischen Zentrums die szenische Lesung von Drei Tage statt, gelesen von Henning Bochert, Hannah Schröder und Robert Knorr, in der Regie von Eberhard Köhler.

Von links: Hannah Schröder, Robert Knorr, Henning Bochert und Barbora Schnelle bei der szenischen Lesung von Drei Tage von Roman Sikora, Foto: Tschechisches Zentrum Berlin

In einer konzertanten Lesung wurde dem Berliner Publikum in der vollen Galerie das Lieblingsthema des Dramatikers Sikora präsentiert – die Entmenschlichung im System der kapitalistischen Weltordnung, wo der freie Markt alles regeln soll. Sein Stück Drei Tage konzipierte Sikora als eine Fortsetzung des Stücks Bekenntnis eines Masochisten, seinem bisher international bekanntesten Werk. Sikoras politische Groteske wird unterstrichen durch seinen verspielten und formalistischen Zugang zur dramatischen Sprache, die sich in kurzen, nicht grammatikkonformen und staccatoartigen Sätzen mit vielen Redundanzen, Wiederholungen und syntaktischen Verdrehungen manifestiert, die eine besondere Herausforderung für die Schauspieler*innen darstellen und gleichzeitig einen kritischen Abstand zum Geschehen schaffen, ganz im Sinne Brechts, zu dem sich Sikora offen bekennt.

Henning Bochert, dritter von links, las die Hauptrolle des Stücks: Herrn B. | Foto: Tschechisches Zentrum Berlin

Herr B. stellt fest, dass er tot ist. Er hat als durchtriebener Banker Karriere gemacht und die Kunden nach Kräften hinters Licht geführt, um an ihr Geld zu kommen. Dann, nach einem Unfall, kommt er nicht wieder auf die Beine, landet auf der Straße und erfährt die Kehrseite des Kapitalismus, als er nach Strich und Faden ausgenommen wird. Als er schließlich mitten in einer der touristischsten Straßen von Prag, der Celetná (dt. Zeltnergassse), verscheidet, wird er von Steve Jobs persönlich ins Jenseits (wie sich herausstellt, ist es die Hölle) geholt, wo er seiner Karriere als Finanzfachkraft weiter frönen darf. Sikoras politische Groteske, die konsequent das Thema des Konkurrenzkampfs von der Wirtschaftsebene in das Milieu der Obdachlosen holt, wurde beim Publikum mit viel Beifall aufgenommen.

Von links: Christina Frankenberg, Roman Sikora und Barbora Schnelle bei der
Publikumsdiskussion | Foto: Tschechisches Zentrum Berlin

In der anschließenden Diskussion wurde mit dem Autor sehr lebendig und interessiert diskutiert. Vom Autor wurde die komische Seite des Stücks beleuchtet, deren plastische Schilderung des Lebens eines Obdachlosen einem das Lachen im Halse steckenbleiben lassen. Die Situation der Obdachlosen im Vergleich zwischen Deutschland und Tschechien wurde besprochen, wobei Sikora betonte, dass sein Stück eine Parabel sei, die das Thema der Obdachlosigkeit stellvertretend für das inhumane Funktionieren neoliberaler Marktstrategien nutzt. Auch die Nähe zu Brechts Dreigroschenoper wurde vom Publikum kommentiert und Sikora gestand, dass ihn die Berliner Lesung erneut daran erinnerte, wie wichtig Brecht für sein dramatisches Schaffen ist.

Blick in den Zuschauerraum | Foto: Tschechisches Zentrum Berlin

Wir bedanken uns bei allen Förderern unseres Projekts:

Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds

DILIA – Theatre, Literary, Audiovisual Agency, Association, Prague, Czech Republic

Felix Bloch Erben, Verlag für Bühne, Film und Funk

Czech Literary Centre, Prague, Czech Republic

Ministry of Culture, Czech Republic

Ein besonderer Dank gehört unserem Veranstaltungspartner, dem Tschechischen Zentrum Berlin.

Ausblick:

Festival Ein Stück: Tschechien 2020 wird zurzeit von Drama Panorama vorbereitet – im Juni 2020 stellen wir drei neue tschechische Theaterstücke in szenischer Lesung vor, diesmal mit Fokus auf junge Dramatikerinnen, und bringen zwei spannende und preisgekrönte Gastspiele der freien Prager Theaterszene nach Berlin – bleiben Sie dran und abonnieren Sie unseren Newsletter und unseren Blog auf der Website.