Übersetzen ist nicht so einfach

Yvonne Griesel
Für die Union des Théâtres de l’Europe hat Yvonne Griesel einige Fragen zur Übersetzung und zu Übertiteln beantwortet:

1. Welches sind die Unterschiede zwischen der Übersetzung eines Stück und speziell für die Bühne zu übersetzen?
Der große Unterschied ist, dass der Ausgangstext einer Dramenübersetzung das Drama ist, der Ausgangstext einer Theaterübertitelung die Inszenierung. Eine Dramenübersetzung wird zum sprechen gemacht wird, eine Theaterübertitlung zum lesen. Und zwar zum schnellen Rezipieren kurzer Sinneinheiten und muss den Sprachstil des Autors oder der Autorin erhalten, gleichzeitig muss stark gekürzt werden, teilweise müssen bei Monologen bis zu 50 % des Textes gekürzt werden. Die Kunst besteht darin, den Autor oder die Autorin nicht der speziellen Sprache zu berauben, Shakespeare, Goethe, Sara Kane, Jelinek etc. nicht durch Verkürzung in ihrem literarischen Stil zu beeinträchtigen, aber andererseits auch durch sinnvolle, vorsichtige und literarisch angemessene Kürzungen dem Publikum zu ermöglichen, sowohl der Inszenierung auf der Bühne also auch dem Text in den Übertiteln zu folgen, ohne dass der Rhythmus der Inszenierung zerstört wird.

2. Welches sind die Herausforderungen beim Übertiteln?
Ganz wichtig ist es, den Rhythmus der Inszenierung zu erspüren. Die Übertitel so zu gestalten, dass niemand das Gefühl hat, er würde nur lesen, aber andererseits auch nicht das Gefühl bekommt, die Übertitel übermitteln nur die Hälfte des Textes. Es ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, derer sich viele nicht bewusst sind. Wichtig ist es Vertrauen zu schaffen, dem Publikum zu vermitteln, dass es sich um eine professionelle Übersetzung und Übertitelung handelt, und man sich durchaus Gedanken gemacht um die adäquate Übersetzung, den Kulturtransfer, sich genau ausgerechnet hat, wieviele Sekunden ein Titel stehen muss, damit er gut rezipiert werden kann, welche klassische Übersetzung von bespielweise Shakespeare man gemeinsam mit der Dramaturgie gewählt hat, damit sie der jeweiligen Inszenierung am besten entspricht. Oder man muss einen Klassiker wie Shakespeare in der Originalsprache so bearbeiten, dass er rezipierbar wird in den englischen Übertiteln. Das ist eine Herausforderung, mit der sich unsere englischen Kolleginnen oft auseinandersetzen. Es gibt so viele Herausforderungen bei der Übertitelung, die Arbeit ist zwischen Technik, Regie, Bühnenbild und Dramaturgie angesiedelt und mit allen führt man einen intensiven Dialog um das beste Ergebnis zu erzielen. Man kann alles lösen, vieles vermitteln, fast jede Inszenierung mit Fingerspitzengefühl dem Publikum verständlich machen, aber ganz wichtig ist die Transparenz. Wenn ich dem Publikum mitteilen kann, was sie bekommen, welche Übersetzung, nach welchem Prinzip gekürzt wurde, ob sie eher eine zusammenfassende Übersetzung bekommen, um möglichst viel den Bühnengeschehen folgen zu können oder eine weniger gekürzte Fassung, da die Sprechgeschwindigkeit nicht sehr hoch ist. All das kann man mit dem Projizieren der ersten Übertiteln seinem Publikum zeigen und „beibringen“, wichtig ist nur dass die Vorgänge transparent gemacht werden.

3. Welche anderen Formen der Sprachmittlung funktionieren Ihrer Erfahrung nach gut im Theater?
Dolmetschen auf der Bühne, Einsprechen, Synopsen, einführende Worte, Schauspieler auf der Bühne… Es gibt viele Wege und Möglichkeiten, für jede Inszenierung kann man die optimale herausfinden. Das erfordert Mut, Kreativität und Dialog mit Kunst und Technik, aber es macht Spaß und lohnt sich.

4. Wie würden Sie einem Laien in wenigen Sätzen die Aufgaben beim Übersetzen für die Bühne erklären?
Es gibt zwei Herangehensweisen, ich übersetze den Text erst und stelle dann Übertitel her oder ich stelle Übertitel in der Ausgangssprache her und übersetze diese in die Zielsprache. Aber generell ist das Vorgehen bei einer Übertitelung gleich, ich sehe mir die Inszenierung an, und dann noch einmal, lasse sie auf mich wirken, erspüre den Rhythmus und fange an den Text vorsichtig zu kürzen und die Titel zu schneiden. Dann probiere ich sie anhand der Inszenierung aus, und feile weiter an der Sprache und am Rhythmus. Langsam schleift man die perfekten Übertitel heraus und bei der Generalprobe ist man dann schon nah dran, aber zwischen Generalprobe und Premiere liegt meist eine Nacht, in der ich noch 1000 Kleinigkeiten neu gestalte. Die Premiere ist dann sozusagen meine Generalprobe und nach jeder Vorstellung finden noch kleinere Anpassungen statt, Verbesserungen und reift jede Übertitelung mit jeder Vorstellung. Wichtig ist zu wissen, dass man Teil der Inszenierung ist, dass das Publikum auf die Übertitel reagiert und das man mit einer Pointe, die man in den Übertiteln vorweg genommen hat, einen Lacher auslösen kann, der den Schauspieler kalt erwischen kann und ihn auf der Bühne in große Verlegenheit bringen kann.

5. Welche Rolle spielt Übersetzung heute im Theater, und welche Rolle sollte sie Ihrer Meinung nach spielen?
Übertitelungen werden im internationalen Theater immer wichtiger. Die Bedeutung einer guten Übertitelung wissen viele Theater zu schätzen, manchen ist noch nicht klar wie viel Arbeit und Kompetenz dahinter steckt. Wie wichtig eine gute muttersprachliche literarische Übersetzerin ist und eine präzise Arbeit. Aber der Weg ist geöffnetd und gemeinsam kann man hier noch viel erreichen, man muss sich nur bewusst sein, dass die Übersetzung im Theater ein künstlerischer Bestandteil der Inszenierung ist.

Das Originalinterview findet sich hier. Wir danken der U.T.E. für die Erlaubnis zur Verwendung.