Die Rede von Dr. Klaus Lederer beim European Balcony Project

Der Senator für Kultur und Europa in Berlin Dr. Klaus Lederer war so freundlich, bei unserer Proklamation der Europäischen Republik am 10.11.2018 ein klares Statement abzugeben. Nun dürfen wir dieses hier im Wortlaut veröffentlichen (es gilt das gesprochene Wort). Dem Senator danken wir hierfür sehr herzlich!

Dr. Klaus Lederer | Foto: Steffen Wollmann

Meine Damen und Herren,
liebe Europäerinnen und Europäer,
liebe Freundinnen und Freunde,

die Europäische Republik, die hier gerade ausgerufen wurde – sie könnte unsere Rettung sein.
„Was Sie hier sehen, ist ein Kunstprojekt“, heißt es im Aufruf für das European Balcony Project.
Kunst kann scheinbar Unmögliches imaginieren, kann Unvorstellbares vorstellen, und kann damit beitragen zu anderen Zuständen, demokratischeren, sozialeren, menschlicheren Zuständen.
Denn: So, wie es ist, bleibt es nicht.
Und so, wie es ist, kann Europa nicht bleiben. Die meisten von uns spüren das deutlich, auch wenn nicht alle es wahrhaben wollen.
Die demokratischen Defizite der EU in ihrer heutigen Ausgestaltung sind unübersehbar, die soziale Ungleichheit in und zwischen den Staaten ist unerträglich groß. Ein gemeinsamer Markt ohne gemeinsame Demokratie, ohne eine gemeinsame Sozialpolitik, das kann auf die Dauer nicht funktionieren.
Auch die nationalistische Rechte hat das erkannt und zieht daraus den Schluss, wir sollten die europäische Union möglichst schnell über Bord werfen, zwischen unseren Ländern die Grenzzäune wieder hochziehen und in der Konkurrenz der Nationalstaaten glücklich werden. Diese Strategie des Rückzugs aufs Nationale ist eine Antwort aus der Vergangenheit auf die Herausforderungen der Zukunft.
Die völkisch-nationalistischen Rechten, die ihr folgen, verschließen die Augen vor den großen Problemen, die längst transnational sind und für die wir nicht eine gelegentliche Abstimmung zwischen nationalstaatlichen Regierungen, sondern neue Formen einer echten transnationalen Demokratie brauchen:
Der radikale Umbau unserer Wirtschafts- und Lebensweise, der erforderlich ist, wenn wir den Klimawandel begrenzen wollen, wird nicht dem Nationalstaat gelingen.
Die Regulierung der globalen Finanzströme wird nicht dem Nationalstaat gelingen.
Die Bekämpfung der krassen globalen Ungleichheit, die Millionen von Menschen zwingt, in extremer Armut zu leben oder ihren Heimatregion zu verlassen, wird nicht dem Nationalstaat gelingen.
Diese Probleme werden nicht von selbst verschwinden, wenn wir sie lang genug ignorieren. Im Gegenteil: Je länger wir zögern, desto heftiger werden uns ihre Folgen ereilen.
Schon deshalb kann der Rückzug aufs Nationale keine Lösung sein.
Wenn der gemeinsame Markt ohne gemeinsame Demokratie nicht funktioniert, muss doch die andere, die zukunftsgewandte Strategie darin bestehen, diese gemeinsame Demokratie zu erstreiten.
Die Republik Europa, für die engagierte Bürger*innen wie Ulrike Guérot und Robert Menasse streiten, ist ein mutiger Entwurf, wie diese gemeinsame Demokratie aussehen könnte. Die Idee mag uns heute radikal erscheinen – so wie zu anderen Zeiten das gleiche Wahlrecht für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht und Stand. Welche demokratische Errungenschaft erschien den Menschen (zumal den Herrschenden) nicht radikal, bevor gezeigt wurde, dass sie umsetzbar, ja eigentlich notwendig ist?
Wobei: Alternativlos ist die Europäische Republik natürlich nicht. Aber die Alternative, sagt Robert Menasse, „wäre eine Misere“. Ich würde es noch drastischer formulieren: Sie wäre eine Katastrophe!
Auch wenn sie hier und heute schon ausgerufen wurde, wird es einer großen kollektiven Kraftanstrengung bedürfen, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
Lebendig aber ist sie schon heute als wunderbar konstruktiver Gegenentwurf zum „Weiter so“ derjenigen, die sich nichts anderes als den Status quo mehr vorstellen können – und die unweigerlich die Realität überrollen wird.
Streiten wir uns also über die europäische Republik! Malen wir uns aus, wie sie verfasst sein müsste, welche Rechte und welche Sicherheiten sie ihren Bürgerinnen und Bürgern bieten muss. Und beantworten wir gemeinsam die Frage, in welchem Europa wir leben wollen. Ein „geeintes, dezentrales, demokratisches und bürgerzentriertes Europa“, so fordert es das Manifest. Ein friedliches, soziales und freiheitliches Europa, würde ich noch hinzufügen wollen.
Ein dickes Brett? Na klar! Am besten, wir fangen noch heute an zu bohren.