Hintergrund: DER SCHAUSPIELER UND SCHREINER MAJER ÄUẞERT SICH ZUM ZUSTAND SEINES HEIMATLANDES

von Barbora Schnelle

Barbora Schnelle | Foto: Jan Handrejch

Aktuelle Diskurse der tschechischen Gesellschaft will ganz gezielt das Prager Theater Studio Hrdinů (dt. Studio der Helden, benannt u.a. nach dem Sitz des Theaters in der Straße Dukelských hrdinů, dt. Straße der Dukla-Helden) auf der Bühne abbilden. Das Theater mit Sitz in den Kellerräumen des Messepalasts, in dem die moderne Kunst aus den Sammlungen der Nationalgalerie untergebracht ist, beauftragt bekannte tschechische Gegenwartsautor*innen, Stücke für seine Bühne zu schreiben. (…) Diese Stücke haben vor kurzem in Tschechien das Theater wieder zu einem Ort gemacht, an dem wichtige Themen des gesellschaftspolitischen Zusammenlebens verhandelt werden, mit einer entsprechend ambivalenten Resonanz beim Publikum und der Presse.

Ein Aushängeschild dieser Bemühungen von Studio Hrdinů um ein Gegenwartstheater am Puls der Zeit ist sicherlich das Stück Der Schauspieler und Schreiner Majer äußert sich zum Zustand seines Heimatlandes (orig. Herec a truhlář Majer mluví o stavu své domoviny, UA 2016) von David Zábranský. Der bekannte tschechische Prosaautor Zábranský wurde von der Regisseurin Kamila Polívková gebeten, ein Stück für den aus diversen Theater-, aber auch TV- und Filmproduktionen berühmten Schauspieler Stanislav Majer zu schreiben. Zábranský, bissiger Beobachter und Analytiker der tschechischen Gesellschaft, schrieb ein Stück in Bernhard’scher Manier, das um das Thema Heimat und ihre Zuschreibungen kreist, um nationales Selbstbewusstsein und die Rolle der Eliten, die es prägen.

Der Monolog wurde dem Schauspieler Majer auf den Leib geschrieben, um ihn und „Menschen seines Schlags“ damit zugleich unter die Lupe zu nehmen. Was bedeutet in Tschechien das Wort Heimat? Und warum fühlt Majer eine Abneigung der Heimat gegenüber? Ist der aktuelle Präsident schuld, dem von den Eliten Populismus vorgeworfen wird? Oder haben die Tschech*innen prinzipiell ein schwaches Selbstbewusstsein und denken, dass es anderswo, z.B. in Deutschland, besser sei? Stanislav Majer, der in der Uraufführung des Stücks die Hauptrolle spielte, spielte keinesfalls sich selbst. Die Sprecherfigur des Monologs hat dem realen Majer (so wie ihn diese Figur natürlich sieht) entgegengesetzte Ansichten, in seinen oft einfach skizzierten Aussagen und seinem Besserwissertum hat die Sprecherfigur fast komische Züge. Der reale Schauspieler Majer spricht also auf der Bühne über Majer’sche Weltansichten, verleumdet sich selbst und zieht ‚sein‘ Wertesystem durch den Kakao.

„Ich wollte etwas über Havel- und Zeman-Anhänger schreiben sowie über Menschen, die man Hipster nennt und die man viel besser die neue nichtstuerische Klasse, die denkt, dass sie doch was tut, nennen soll“, sagte Zábranský im Gespräch, das dem Stückabdruck im Programmbuch des Theaters Studio Hrdinů vorausgeschickt wird.

Zábranský beobachtet Europa, das darauf bedacht war, Grenzen zu öffnen, eine grenzenlose Landschaft mit nivellierten Unterschieden zu werden, und findet genau das Gegenteil – neue Grenzen entstehen, neue Vorurteile, neue Nationalismen. Dies sieht aber Zábranský quasi als Sprecher des Texts als eine natürliche Gegebenheit, die aus der Dynamik des historischen Wechsels zwischen Avantgardisten (repräsentiert durch den ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel) und Reaktionären (repräsentiert durch den aktuellen, unter großen Protesten vor allem aus den Reihen der Intellektuellen wiedergewählten Präsidenten Miloš Zeman) entsteht, und prophezeit: „Bald schon ist ganz Europa depressiv“.

In den tschechischen Medien rief Zábranský große Hysterie hervor, da er noch vor der Uraufführung des Stücks verkündete, dass die Kernfrage seines Werks darin bestünde, „warum hiesige Künstler Zeman nicht verstehen und warum sie ihn als Symbol des Bösen verwenden“. Auf einmal wurde er zum verhassten Objekt der Anti-Zeman-Bewegung, ohne Rücksicht darauf, was hinter den provokativen Thesen, die Zábranský gezielt veröffentlichte und als eine Art Köder in den Medien kursieren ließ, im Text tatsächlich zu finden ist. Zábranskýs Text ist keinesfalls eine Zeman-Verteidigung, vielmehr eine Analyse der Haltung der Eliten, die sich auf dem Bild eines schwarz-weiß porträtierten Feindes ausruhen, ohne die wirklich wichtigen Fragen der Gesellschaft anzugehen. Mit einer großen Lust an Gegensätzen betreibt Zábranskýs Sprecher in diesem Stück das Denken in Kategorien und vorgefertigten Mustern und entlarvt genau diese Denkmuster bei seinem Publikum.

Neben der Lebenseinstellung von Stanislav Majer wird auch die Auftraggeberin, Regisseurin Kamila Polívková, als Künstlerin ‚analysiert‘ und somit auf satirische Weise die tschechische Theaterlandschaft vorgestellt, die zu Deutschland aufschaut. In Deutschland ist Polívková allerdings keine Regisseurin, sondern „nur die Kostümbildnerin“ des Regisseurs Dušan David Pařízek, dessen Werdegang in den tschechisch-deutschen Theaterdisput gleich mit aufgenommen wird und der mit seiner Arbeit eines der wenigen heutigen Beispiele dafür ist, dass das tschechische und deutschsprachige Theater miteinander kommunizieren. Als Prager Hipster-Hochburg spielt auch das Stadtviertel Letná eine Rolle, dort bewegen sich die smarten Menschen von heute, die die richtigen Getränke bestellen und die richtigen Markenschuhe tragen, dort befindet sich das Theater Studio Hrdinů und das Café des Kinos Bio Oko, wo der Sprecher, alias Zábranský, die Regisseurin Polívková trifft.

In dialektisch aufgebauten Sätzen skizziert Zábranský die tschechische Geschichte mit all ihren wichtigen historisch-politischen Einbrüchen und beobachtet, wie Heimat, das archaische, idyllische, oft mit vielen Euphemismen belegte Wort, für unterschiedliche Zwecke gebraucht wird.

Auszug aus dem Essay: Schnelle, Barbora: „Von Masochisten und Mamma-Guerillas. Tschechische Dramatik auf der Suche nach theatralen Gegenwartsbildern.“ In: Von Masochisten und Mamma-Guerillas. Neue tschechische Dramatik, hrsg. von Barbora Schnelle, Berlin: Neofelis 2018, S. 9 – 31, hier S. 27-29.