Teatr Stary in Krakau – ein weiterer Misserfolg

Das polnische Kulturministerium geht inkompetent und chaotisch vor und zerstört das polnische Theater. Diesmal traf es das renommierteste Stary Teatr in Krakau. Die Aktion ist zwar ein Misserfolg für den Minister, aber die irreparablen Schäden bleiben.

von Iwona Uberman

Dieses Theater kennt in Polen jeder: Narodowy Stary Teatr. Sein voller Name ist wie bei einem Adeligen um einiges länger: Narodowy Stary Teatr imienia Heleny Modrzejewskiej w Krakowie. Es ist das zweitälteste polnische Theater, nur 16 Jahre jünger als das Nationaltheater in Warschau und darf sich seit 1991 auch „Nationaltheater“ nennen, obwohl es nicht in der Hauptstadt, sondern in Krakau liegt. Wie die Warschauer Einrichtung ist es seit der Wende, die in Polen Transformation heißt, direkt dem polnischen Kulturministerium unterstellt. Dieser Status ist vor allem Ausdruck der geistigen Hochachtung,  sonst jedoch beklagte man in den vergangenen 25 Jahren, dass, obwohl offiziell in Obhut genommen und als großer Schatz der polnischen Kultur und  Nationalerbe gefeiert, es vor allem in finanzieller Hinsicht eher vernachlässigt wurde. Aus heutiger Perspektive zurückschauend: Was waren dies für gute Zeiten, denn inzwischen braut sich größerer Ärger zusammen.

Von Januar 2013 bis August 2017 wurde das Stary, auf Deutsch „Altes Theater“ und im Volksmund „der Alte“ genannt, von Jan Klata geleitet, einem Regisseur, der auch in Deutschland kein Unbekannter ist. Seine letzte Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus, „Verbrechen und Strafe“ nach Dostojewski, stand auf der Long List des Berliner Theatertreffens 2017 und war somit nur knapp vom Titel der bemerkenswertesten Inszenierungen der vergangenen Spielzeit entfernt. Die Intendanz von Klata begann mit einigen Schwierigkeiten, Krakau ist sehr traditionell und auch sonst ein schwieriges Pflaster, der Regisseur konnte aber schnell den richtigen Ton finden und verschiedene Publikumsgruppen für sich gewinnen. Es lag sicherlich zum Teil an der Balance, die er intuitiv gefunden hat: viele polnische Stoffe, viel modern und innovativ inszenierte ältere Klassik, jedoch nach den ersten Erfahrungen ohne „Provokationen“, die in Polen schwierig sein können, wie man es am Beispiel der Jelinek-Aufführung im Teatr Polski in Breslau oder von „Klątwa“ („Der Fluch“) in Teatr Powszechny in Warschau in den letzten Monaten erlebt hat.

Bei Klata gab es in Krakau keine Frljić-Premiere wie in Warschau (oder genauer gesagt, Proben zu einer von dem kroatischen Regisseur 2013 vorbereiteten Inszenierung wurden von Klata kurzfristig gestoppt, wofür er sich Vorwürfe einer Zensur gefallen lassen musste). Bei den Krakauer Arbeiten des Duos Demirski/Strzępka, das anderswo häufig bei manchem Besucher für Ärger   sorgte, war die Entrüstung gerade noch erträglich. Nach starken Protesten bei der ersten Intendanteninszenierung „Nach Damaskus“ von Strindberg 2013 haben auch angebliche „sexuelle Exzesse“ deutlich abgenommen. Seitdem die PiS-Partei 2015 in Polen die Regierung übernahm, wurde es eher still um das Stary, Klatas Leitung wurde von der Politik geduldet oder öfter sogar einfach ignoriert. So schien es zumindest, denn es gab keine Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, und für einen beabsichtigten Intendantenwechsel gab es keine Anzeichen. Erst Ende März 2017 kündigte das Ministerium eine Ausschreibung für den Posten des Intendanten an. Auch Klata bewarb sich, unter seinen Konkurrenten befanden sich keine prominenten Namen, was Spekulationen hervorrief, dass die Sache gut für ihn ausgehen könnte. Schließlich war man überzeugt, dass das Ministerium das Desaster von Breslau sicherlich nicht noch einmal erleben wolle.

Es kam jedoch anders: Die Ausschreibung gewann ein Kandidat, mit dem man am wenigsten gerechnet hat, da er als weitgehend unbekannt galt: Marek Mikos arbeitete einige Jahre als Kulturjournalist für das Krakauer Büro von Gazeta Wyborcza und wurde später Leiter eines kleinen regionalen Studios des staatlichen Fernsehsenders TVP in Kielce. Seine Theatererfahrung währte nur ein Jahr, er war künstlerischer Leiter des Teatr Ludowy in Nowa Huta bei Krakau. Der Trumpf von Mikos war Michał Gieleta, den er als künstlerischen Leiter für seine Bewerbung mit ins Boot geholt hatte. Der Theaterregisseur Gieleta mit Wohnsitz in Großbritannien wurde vom Minister Gliński als „der bedeutendste polnische Regisseur in der Welt“ bezeichnet, was auch fieberhafte Recherchen von verdutzten Theaterleuten in Polen und Nachfragen bei britischen und US-amerikanischen Theaterspezialisten kaum bestätigen konnten. Gieleta soll in Off-Theatern im Londoner West End gearbeitet und Opern in den USA und Südafrika inszeniert haben. Über die Anzahl der Arbeiten und ihre Rezeption ist wenig verbrieft. Die Vorschläge von Gieleta, im Stary in Zukunft Shakespeare und andere große Klassiker wie Aischylos, Sophokles, Calderon, Goldoni, Racine, Schiller sowie Beckett, Joyce, Brecht, Garcia Lorca, Dario Fo, Albee, Pinter und Enda Walsh, Anthony Minghella, Tom Stoppard, Sam Sheppard, Tony Kushner, Martin Sherman zu spielen, begeisterten offensichtlich den Minister.

Die Stary-Schauspieler versuchten die Entscheidung von Gliński aufzuhalten, ihn in einem Gespräch umzustimmen. Ihre Bedenken wurden von diesem jedoch sehr „pragmatisch“ und ernüchternd abgetan: „Geben Sie dem Neuen eine Chance. Wenn er sich nicht bewährt, wird er entlassen und wir finden jemanden anderen.“ Ungewöhnlich: Die Schauspielerdelegation bekam vom Minister einen Termin im Ministerium in Warschau am Vormittag des gleichen Tages, an dem Gliński einige Stunden später eine Ausstellung in Krakau eröffnete. Wäre da ein Treffen in der Stary-Stadt für alle nicht einfacher gewesen?

Kaum war der ab dem 1. September geltende Vertrag mit Marek Mikos unterschrieben, gab es eine unerwartete Nachricht: Der neue Intendant hat entschieden, Michał Gieleta nicht als künstlerischen Leiter des Theaters zu beschäftigen. Da die angegebenen Gründe von Gieleta umgehend dementiert wurden, braucht man hier nicht näher auf sie einzugehen. Der Minister ist verärgert, kann aber kaum etwas dagegen machen – Gieletas Anstellung steht nicht im Intendantenvertrag. Es gibt noch weitere gute Gründe, verärgert zu sein: Bei der ersten Veranstaltung am 2. September, die als Eröffnung des neuen Stary gelten sollte, waren die Stary-Schauspieler nicht dabei. Um Teilnahme an einer landesweiten Lesung von „Wesele“ („Die Hochzeit“) von Wyspiański auf dem Platz vor dem Theater bat Mikos Mitglieder eines anderen, des kleinen Theaters Mumerus. Der Grund dafür ist nicht ganz klar, Mikos sprach von terminlichen Schwierigkeiten seiner Ensemblemitglieder, die wiederum von seinen Plänen gar nichts wussten. Pikant ist, dass „Wesele“ Klatas letzte Premiere am Stary war, sie fand im Mai statt, fast gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Intendantenwechsels. Die Inszenierung gilt beim jungen und alten Publikum sowie bei der Kritik (mit Ausnahme einiger extremrechter Schreiber) als großartig, man könnte den Zuspruch vielleicht mit dem Erfolg von Castorfs „Faust“ in Deutschland vergleichen.

„Wesele“ wird planmäßig bis Ende des Jahres gespielt, die Vorstellungen ab dem 16.09. sind längst ausverkauft. Auch andere Produktionen aus der Klata-Zeit sind bis dahin im Stary zu sehen. Weitere Vorhaben von Mikos sind trotz ihrer Ankündigung am 6. September sehr vage. Gieletas Konzept wurde offensichtlich verworfen, stattdessen nannte der Intendant einige Dramatiker,  die nicht mal jedem Theaterkritiker geläufig sind, sowie Projekte, die anderswo fest geplant sind. Er nannte auch Regisseure, die er gewinnen möchte – die meisten von ihnen dementierten sofort eine geplante Zusammenarbeit. Events zu Polens 100-jährigem Unabhängigkeitsjubiläum und Arbeiten mit jungen Künstlern stehen auf dem Plan. Alles deutet darauf hin, dass sich das Szenario von Breslau wiederholen könnte. Auch diesmal scheint der „gute Wechsel“ erfolgreich schief zu gehen.

Zuerst veröffentlicht unter: www.kulturtransfer.eu